Jürgen Holtkamp

Mensch – Projekte – Veröffentlichungen

Voll im Griff – Jugendliche in der Mediengesellschaft

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Unter diesem Titel habe ich 2002 einen Beitrag für die Zeitschrift „Zeitweise“ des BDKJ veröffentlicht.

Die Lebenswelt von Kindern und Jugendlichen ist geprägt von Medienerlebnissen und –eindrücken. Das ist nicht ungewöhnlich, denn schon seit jeher beschäftigen sich auch Kinder mit Medien. Die Art und Vielfältigkeit der Medien verändert sich zwar, aber auch bei einem Märchenbuch handelt es sich letztlich um ein Medium. Kinder lernen die Mediennutzung von den Eltern, was diesem Thema auch seine Brisanz verleiht.

Seit vielen Jahren gibt es eine breite und intensive Forschung zum Mediennutzungsverhalten von Kindern und Jugendlichen.

Eine neue Studie ist die von Sabine Feierabend und Walter Klingler zu den Medien- und Themeninteressen Jugendlicher 12- bis 19-Jähriger. Unter der Federführung des Medienpädagogischen Forschungsverbundes Südwest wurden die jährlichen Themeninteressen von Jugendlichen, ihre Zugangswege zu Informationen und ihr generelles Medienverhalten, herausgefiltert. Danach zeigt sich im Vergleich zum Vorjahr eine relativ hohe Stabilität bei den Freizeitaktivitäten: Treffen mit Freunden und Gleichaltrigen sind mit Abstand am wichtigsten. Freundschaft rangiert bei nahezu allen Jugendlichen an erster Stelle, gefolgt von Musik, Liebe/Partnerschaft und Ausbildung/Beruf.

Über die Familie haben Jugendliche einen guten Zugang zur Medien und Unterhaltungselektronik. Parallel dazu steigt auch der persönliche Medien- und Gerätebesitz kontinuierlich weiter. Die größten Zuwächse gibt es bei Handys. Bei der Mediennutzung ist insbesondere die zunehmende Computernutzung auffallend, Fernsehen bleibt jedoch am wenigsten verzichtbar.

Bücher sind „in“, aber…

Zwar werden immer mehr Bücher in Deutschland gekauft, aber auch immer weniger gelesen. Fast-Food-Lesen, also das sogenannte überfliegende Lesen, ist die neue Formel. Die Vielleser werden immer weniger. Waren es 1992 noch 16% sind es im Jahr 2000 nur noch 6%, wie eine Untersuchung der STIFTUNG LESEN zeigt. Damit einher stieg im gleichen Zeitraum der Anteil der Nichtleser von 20 auf 28 Prozent. Immer häufiger wird in mehreren Büchern gleichzeitig gelesen und auch das sogenannte Häppchen lesen hat zugenommen, also das Lesen von Büchern in kleinen Portionen und über einen längeren Zeitraum. Dazu passt auch, Bücher werden heute kaum mehr ohne Lesepausen gelesen, ebenso nimmt die Bereitschaft längere Texte zu lesen ab. Deshalb ist auch nicht überraschend, dass die Qualität des Lesens sich ebenfalls verändert hat, es wird schneller und oberflächlicher gelesen. So bekennen sich fast zwei Drittel der 14- bis 19-jährigen Jugendlichen in der neuesten BAT-Studie zum Fast-Food-Lesen.

Etwa die Hälfte aller Jugendlichen zwischen 14 und 24 Jahren lesen in ihrer Freizeit regelmäßig, wobei Mädchen häufiger lesen als Jungen. Auch gibt es einen Zusammenhang zwischen Bücher lesen und Bildungsgrad. Abiturienten lesen fast dreimal soviel wie Hauptschüler.

Nun ist Buch nicht gleich Buch. Personen, die Computer oder Fernseher intensiv nutzten, lesen auch häufig Bücher. Allerdings ist nicht auszuschließen, dass dies Bücher über Computer und Fernsehen sind. Medienfreaks sind anscheinend auch Bücherwürmer.

Die Kulturtechnik Lesen wird zwar nicht aussterben, jedoch wird das Anlesen zunehmend wichtiger als das Durchlesen. Der künftige Leser lässt sich etwa so beschreiben; man überfliegt den Text, lässt einzelne Passagen aus und liest mehrere Bücher, Zeitschriften und Zeitungen gleichzeitig.

„Ohne Musik geht nichts“

Trotz der großen Medienkonkurrenz ist Radiohören nach wie vor bei Jugendlichen „in“.

In den letzten zehn Jahren hat sich hinsichtlich der Attraktivität dieses Mediums kaum etwas verändert und daran wird sich auch künftig kaum etwas ändern.

Eine Ausweitung der Radionutzung wird es jedoch wohl nicht mehr geben, die Gesamtnutzung dürfte sogar mittelfristig zurückgehen. Dies gilt besonders für die Jüngeren, was auch daran liegt, dass das Fernsehen zusehends in Konkurrenz mit dem Radio über den Tag hinweg steht. Das Radio bekommt noch von einer anderen Seite Konkurrenz. Mittlerweile nutzen mehr als drei Viertel der Jugendlichen CDs und MCs. Dementsprechend geben Jugendliche (noch) das meiste Geld für diese Medien aus. Allerdings gibt es hier einen neuen Trend; denn viele Jugendliche holen sich ihre Lieblingshits aus dem Internet von Morpheus und anderen Musiktauschbörsen und brennen diese auf eine CD-ROM.

„Fernsehen ist die liebste Freizeitbeschäftigung“

Über 90 Prozent der Jugendlichen zwischen 14 und 24 Jahren sehen mindestens einmal pro Woche fern (B.A.T.-Studie 1996). Mehr als zwei Drittel der westdeutschen Jugendlichen haben ein eigenes Fernsehgerät und für mehr als ein Drittel der Jugendlichen ist das Fernsehen das wichtigste Medium. Jugendliche mit höherem Bildungsgrad messen diesem Medium in der Regel weniger Bedeutung bei.

Das Fernsehen liegt auch bei der täglichen Nutzung ganz vorn, 61% der 14- bis 29jährigen nutzen es täglich. Jugendliche ab 14 Jahren sehen statistisch gesehen mehr als drei Stunden täglich fern (GfK Marktforschung AG, Aktuelle Daten zur Fernsehforschung, veröffentlicht in: http://www.gfk.cube.net vom 16.11.1997). Interessant sind die Motive der Jugendlichen fernzusehen. So nutzen sie Fernsehen zur Information, Entspannung oder als Zeitvertreib. Hierbei zeigt sich, dass Gymnasiasten den Fernseher eher zur Information einschalten während sich Real- und Hauptschüler gerne damit die Zeit vertreiben.

Jedoch entwickelt sich das Fernsehen immer mehr zum Hintergrundmedium. Mehr als jeder zweite Deutsche nutzt das Fernsehen für Unterhaltung und gute Stimmung. Kaum verwunderlich, dass viele Zuschauer immer öfter auf flache Programmangebote zappen. Und da die Nachfrage den Markt regelt, reagieren die meisten TV-Anstalten darauf und produzieren Programmformate auf niedrigerem Niveau zu lasten des Qualitätsfernsehen (BAT-Studie 2002).

Trotz der Konkurrenz durch Videos und Fernsehen werden Kinos nach wie vor besucht. Dennoch, sieht man sich einmal die demographischen Daten der Kinobesucher an, so fällt auf, dass Jugendliche bzw. Teenager seit Beginn der 90er Jahre seltener ins Kino gehen. Wurden 1991 noch über 30 Millionen Eintrittskarten an die Gruppe der 10-19jährigen verkauft, waren es 1995 nur noch ca. 24 Millionen Karten (Neckermann, 1997). Die Anzahl der Multiplexe hat sich in den 90er Jahren vervielfacht. Stellten diese Kinos 1992 noch insgesamt 90 Kinosäle zur Verfügung, hat sich die Zahl allein bis 1998 mit 729 Kinosälen beinahe verachtfacht (Media Perspektiven Basisdaten, 1999).

Dass Jugendliche in den 90er Jahren seltener Kinovorstellungen besuchen, wird insbesondere auf die erhöhten Eintrittspreise zurückgeführt, die Folge der Neubau- und Modernisierungsmaßnahmen der Branche sind. So gaben jugendliche Nicht-Kino-Gänger bereits zu Beginn der 90er Jahre an, aus finanziellen Gründen auf den Kinobesuch verzichten zu müssen. Dabei ist aber nicht nur an die Eintrittspreise zu denken. Gerade die Einführung der gastronomisch gut ausgestatteten Multiplexe treibt die Kosten des Kinobesuchs in die Höhe, wenn beim Filmerleben das Popcorn sowie die Cola und der Schokoriegel unverzichtbar werden.

Sicher ist auch eine Ursache für den Rückgang im veränderten Freizeitverhalten zu sehen.

Trotz Besucherrückgänge bei den Teenagern stellen Schüler und Studenten insgesamt jedoch die bei weitem größte Besuchergruppe der Kinos dar (Neckermann, 1997). Stellt man die Frage, warum Jugendliche ins Kino gehen, so zeigen sich unterschiedliche Motive. Natürlich ist das Interesse an einem bestimmten Film ein ganz wesentlicher Auslöser für den Kinobesuch. Daneben wird der Besuch des Kinos aber auch von dem Bedürfnis nach Geselligkeit geleitet. Der Kinobesuch als Wunsch nach sozialen Kontakten stellt sich bei Mädchen noch deutlicher dar als bei Jungen der gleichen Altersgruppe; häufiger beklagen sie, keine Begleitung für den Kinobesuch zu finden. Schließlich entspricht der Gang ins Kino aber auch einem allgemeinen Unterhaltungsbedürfnis, dem Wunsch nach Spaß, Action und gemeinsamen Erlebnissen mit Gleichaltrigen.

Der Computer trennt die Geschlechter

Obwohl alle Welt von DVD, Internet und Multimedia redet, die Beschäftigung mit dem Computer kommt weit hinter Fernsehen, Radio, Zeitung, Buch und Video bei den beliebtesten Freizeitaktivitäten.

Nur ein Fünftel aller Jugendlichen nutzen regelmäßig den Computer in ihrer Freizeit. Der typische Computernutzer ist jung, männlich, gebildet und zwischen 14 und 19 Jahre alt. Er besucht das Gymnasium oder geht zur Universität.

83 Prozent der Jugendlichen zählen mittlerweile zu den Computernutzern, 12 Prozentpunkte mehr als 1998, wobei insbesondere die Mädchen stark aufgeholt haben. Computerspiele, E-Mails, Surfen im Internet sind die häufigsten Anwendungen, Werte um 40 Prozent nehmen das Schreiben von Texten und die Computernutzung im schulischen Kontext ein. Knapp zwei Drittel der Zwölf- bis 19-Jährigen nutzen (zumindest selten) das Internet. Deutlich gestiegen gegenüber dem Vorjahr ist die Nutzungshäufigkeit: Nahezu zwei Drittel der jugendlichen Internetnutzer gehen 2001 mehrmals pro Woche ins Netz. Meistgenutzte Angebote sind die Webseiten von Fernsehsendungen und –sendern.

Die Computernutzung ist vor allem eine Frage der Bildung: Zwischen Hauptschulabsolventen (14%) und Gymnasialabsolventen (55%) liegen geradezu Welten. Die Abstände zwischen beiden Nutzergruppen werden immer größer.

Über drei Viertel der Verbraucher nutzen das Internet nicht von zu Hause, obwohl die Zahl der privaten Internet-Surfer von 1,3 Millionen (1996) auf 11,5 Millionen (2002) gestiegen ist.

Jeder dritte im Alter von 14 bis 19 Jahren nutzt den Computer wenigstens einmal in der Woche zu Hause für Online-Dienste und andere Netzwerke.

Trends

Die Mediengesellschaft hat die Jugendlichen voll im Griff. Mehr als 30 TV-Programme, unzählige Videofilme und Computerspiele, dazu Millionen von Emails und SMS. Den Umgang mit neuen Medien lernen die Jugendlichen schnell. Der Stress wird damit aber auch größer. Computerspiele und Handys veraltern schneller, die Anschaffungskosten für die diversen Geräte sowie die Gebühren übersteigen so manches Taschengeld.

Die Mediengesellschaft teilt sich, die meisten nutzen die Medien zur Unterhaltung und nur eine kleinere Gruppe will gestalterisch mit Medien umgehen. Auf den Punkt gebracht: Lieber gemütlich vorm Fernseher sitzen und einen Spielfilm oder eine Soap schauen als im Internet nach den Ursachen für die Gewalt im Nahen Osten zu recherchieren.

Insofern verwunderte es auch nicht, dass Pädagogen und Soziologen eine Aufspaltung in „informationsreiche“ und „informationsarme“ Schichten sehen. Ob neue Technologien in Jugendzimmer und Kinderstuben einziehen, hängt nicht zuletzt von den finanziellen Möglichkeiten der Eltern ab. Die Anschaffung neuer und aktueller Hard- und Software ist kostspielig und für Eltern mit niedrigem Einkommen kaum finanzierbar.

Es lassen sich grob zwei Typen von jugendlichen Mediennutzern benennen: In der Regel agieren Jugendliche mit höherem Bildungsniveau, mit mehr Anregungen aus ihrem sozialen Umfeld im Umgang mit Medien aktiver. Diese Gruppe nutzt alte und neue Medien variabler und produktiver, ohne dabei andere Freizeitbeschäftigungen zu vernachlässigen. Umgekehrt konsumieren junge Menschen, die weniger gebildet sind und in einer weniger abwechslungsreichen Umwelt aufwachsen und leben, Medien eher passiv. Sie nutzen sie zur Berieselung und Ablenkung, ohne deren Angebot kreativ für sich nutzbar zu machen. Diese soziokulturelle Polarisierung zeigt sich im Umgang mit dem Buch, dem Fernsehen sowie mit neuen Informations- und Kommunikationstechnologien.

Literatur:

B·A·T Freizeit-Forschungsinstitut: B·A·T Medienanalyse 2002. Repräsentativbefragung von 2000 Personen ab 14 Jahren im Februar 2002, Hamburg 2002

Baacke, D., Schäfer, H. & Vollbrecht, R. (1994). Treffpunkt Kino. Daten und Materialien zum Verhältnis von Jugend und Kino. Weinheim/München

Neckermann, G. (1997). Kinobesuch: Demographisch bedingte Rückgänge und neue Zuschauergruppen. Media Perspektiven, Heft 3.

Media Perspektiven Basisdaten, 1999

Sabine Feierabend/ Walter Klingler, Kinder und Medien 2000, Media Perspektiven Heft 7, 2001

Stiftung Lesen (Hrsg.): Leseverhalten in Deutschland im neuen Jahrtausend. Eine Studie der Stiftung Lesen, Hamburg 2001.

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